Offenheit als Quelle kultureller und ökonomischer Stärke

Von | Oktober 5, 2025

Die produktive Kraft der Offenheit

Künstlerische Migration in den 1930er- und 1940er-Jahren

In den 1930er und 1940er Jahren verließen zahlreiche Künstlerinnen und Künstler Europa. Unter ihnen Thomas Mann, Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Arnold Schönberg, Hanns Eisler, Paul Hindemith, Kurt Weill, Ernst Toch, Erich Wolfgang Korngold, Darius Milhaud, Stefan Wolpe, Ernst Krenek, Max Reinhardt, Alma Mahler-Werfel, Friedrich Hollaender, Lion Feuchtwanger und Bronisław Kaper. Viele flohen aus Deutschland oder Österreich, andere – wie Kaper – aus den von Deutschland überfallenen Ländern.

Frühere Wellen des Exils aus Russland und Osteuropa

Doch auch weiter im Osten, im Zarenreich und später in der Sowjetunion, setzten sich ähnliche Bewegungen fort. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verließen viele russische und jüdische Komponisten ihre Heimat: Irving Berlin, George Gershwin (Sohn russischer Einwanderer), Vladimir Dukelsky / Vernon Duke, Mischa Spoliansky, Sergei Rachmaninow, Jascha Heifetz, Nadia Reisenberg und viele andere suchten im Westen Freiheit und neue musikalische Ausdrucksformen.
Viele von ihnen fanden in den USA ihre künstlerische Sprache wieder – in Tin Pan Alley, am Broadway, im Jazz und in der Filmindustrie. Das Land, das sie aufnahm, wurde dadurch reicher – kulturell, wirtschaftlich und geistig.

Kulturelle Aufnahme und wirtschaftlicher Aufstieg

Ihre Ankunft in den USA fiel in eine Zeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs. Die neuen Einwanderer trugen mit ihrer Bildung, ihrer Disziplin und ihrer schöpferischen Energie dazu bei, dass das Land kulturell und wirtschaftlich aufstieg. Hollywoods goldene Ära, das amerikanische Musikleben, zahlreiche Universitäten und Forschungseinrichtungen verdanken diesem Exodus entscheidende Impulse.

Austausch statt Rivalität

Gerade darin liegt eine Ironie der Geschichte:
Aus den Spannungen zwischen den großen Mächten entstand nicht nur Konkurrenz, sondern eine Bewegung, die die Grenzen selbst überwand. Die Talente, die vor Diktaturen flohen, schufen im Zusammenspiel die kulturelle Grundlage des modernen Westens. Die vermeintliche Rivalität zwischen Europa, Russland und Amerika wird, rückblickend betrachtet, zu einer gemeinsamen Geschichte von Austausch, Verlust und Erneuerung.

Eine Chance für Europa

Amerikas historische Stärke lag einmal darin, Zuflucht zu gewähren – und darin, das Fremde nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu begreifen. Davon hat es sich heute teilweise entfernt.
Vielleicht liegt hier eine neue Chance für Europa: Offenheit nicht nur als moralische, sondern als kulturelle und ökonomische Praxis zu verstehen – als produktive Haltung, die Zukunft hervorbringt.

Offenheit als Investition

Wenn man diese beiden Bewegungen zusammendenkt, ergibt sich eine klare Konsequenz: Wer in Europa Verantwortung übernehmen will, sollte Menschen Asyl bieten – nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus Einsicht in ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wert.

Denn das Exil ist keine Randnotiz der Geschichte, sondern eine wiederkehrende Form kultureller und wirtschaftlicher Erneuerung. Gesellschaften, die Zuflucht gewähren, gewinnen an Geist, an Wissen und an Zukunft.
Offenheit ist keine Schwäche, sondern eine Investition in das, was bleibt, wenn Macht und Grenzen längst vergangen sind.

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