Schall und Rauch: Die Blockchain-Illusion in der Musikindustrie

Von | September 1, 2023

Prolog: Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf das musikalische Ökosystem

In der facettenreichen Historie der Musik hat technologische Innovation oftmals die Entwicklungsrichtung bestimmt. In diesem Kontext haben die Digitalisierung und das Aufkommen des Internets die musikalischen Landschaften in beispiellosen Maßen umgestaltet. Doch wie bei jedem großen kulturellen Wandel gibt es auch hier subtilere, weniger beachtete Handlungsstränge und komplexe Hintergründe.

Die goldenen Zeiten der CD

Sony’s Pionierarbeit mit der Einführung der CD markierte einen Wendepunkt: Musik wurde nun mit einer beispiellosen akustischen Klarheit ohne Knistern und Rauschen wiedergegeben. Die großen Player der Musikindustrie erkannten schnell die Möglichkeiten, die diese neue Technologie bot, und entwickelten geschickte Marketingstrategien. Ihr Erfolg kulminierte in einem wahren goldenen Zeitalter der Musikindustrie. Bis zum Beginn des neuen Jahrtausends dominierte die CD den Markt und generierte für die Industrie beeindruckende Gewinne.

Während das Kopieren von Musik in jenen Tagen zwar verbreitet war, stellte es nicht wirklich eine signifikante Bedrohung für die üppigen Gewinne der Musikmogule dar. Kassetten, die das Anfertigen von Privatkopien ermöglichten, waren bereits in Umlauf. Interessanterweise bekamen Plattenfirmen tatsächlich eine Pauschalvergütung für jede verkaufte Leerkassette, was den finanziellen Schlag der Kopierpraxis abmilderte.

Das Brennen von CDs unterschied sich in dieser Hinsicht nicht grundlegend von Kassettenkopien. Mit Kassettenspielern und Recordern, die oft in Kompaktanlagen integriert waren, wurden zudem häufig Radioaufnahmen gemacht, wodurch Mixtapes entstanden – ein Zeichen der kreativen Musikdistribution der damaligen Zeit.

Doch trotz ihrer Vorteile und Dominanz hatte die CD einen entscheidenden Nachteil. Im Vergleich zur Kassette war sie kaum mobiltauglich. Ein Discman, obwohl technologisch fortgeschritten, konnte in Sachen Portabilität nicht mit einem Walkman mithalten. Selbst leichte Erschütterungen konnten dazu führen, dass die CD sprang, was den Musikgenuss unterwegs erheblich beeinträchtigte.

MP3: Die neue Musik-Ära

Mit der Einführung des MP3-Formats durch das renommierte Fraunhofer Institut begann zweifellos ein neues Kapitel in der Chronik digitaler Musikinnovationen. Es ist eine gewisse Ironie nicht zu übersehen, dass wir, nachdem die CD uns in die Welt der digitalen Hochqualitätsaufnahmen eingeführt hatte, mit der MP3 wieder in eine Ära eintreten würden, in der Qualitätseinbußen in Kauf genommen wurden. Aber es war nicht bloße Unachtsamkeit oder Regression, die diese Wahl beeinflusste. Es war die unwiderstehliche Balance aus angemessener Soundqualität und erheblich reduziertem Speicherbedarf, die die MP3 zu einem Symbol der modernen Musik machte.

Reflektiert man über die Diversität der Geräte, auf denen heute Musik konsumiert wird – von Smartphone-Lautsprechern bis hin zu Bluetooth-Kopfhörern –, lassen sich die Kompromisse in Sachen Klangqualität leicht verzeihen. Tatsächlich war die MP3 in der Lage, die Dateigröße eines Songs drastisch zu reduzieren, oft um satte 80-90%, je nach gewähltem Komprimierungsgrad.

Diese Kompaktheit ebnete den Weg für eine neue Generation mobiler Musikgeräte. MP3-Player, allen voran Apples revolutionärer iPod, nutzten winzige Festplatten und Flash-Speicher, um hunderte, später tausende von Songs in unsere Taschen zu bringen. So wurde die digitale Musikwiedergabe endlich mobil, und wir begannen, den Soundtrack unseres Lebens überallhin mitzunehmen.

Die Digitalisierung in der Musikproduktion

Die Evolution der Computertechnologie, geprägt durch atemberaubende Steigerungen in Rechenkraft und Speicherkapazität, hat nicht nur unsere Alltagskommunikation und Arbeitsweise revolutioniert, sondern auch die Musikproduktion tiefgreifend verändert. Die Schwelle dieses digitalen Zeitalters in der Musik wurde 1999 markant überschritten. In diesem Jahr schaffte es Desmond Child mit Ricky Martins Ohrwurm Livin‘ la Vida Loca an die Spitze der Charts – ein Titel, der nicht auf altbekannten Tonbändern, sondern in der digitalen Umgebung einer Digital Audio Workstation (DAW) entstand. Dieser Meilenstein signalisierte den Übergang zu einer neuen Ära der Musikproduktion.

Aber der Computer war nicht nur ein bloßes Aufnahmegerät. Er transformierte sich, durch seine Rolle als Sampler und später als digitaler Synthesizer, zu einem vollwertigen, multifunktionalen Musikinstrument. Dieses Instrument bot nicht nur eine schier unendliche Palette an Klängen und Effekten, sondern wurde auch zu einem zentralen Werkzeug, das die kreativen Grenzen für Produzenten und Musiker neu definierte.

Zwischenresümee

In unserer bisherigen Reise durch die Zeit sind wir Zeuge geworden, wie technologische Fortschritte die Musiklandschaft radikal geformt und verändert haben. Diese digitalen Errungenschaften, von denen wir gesprochen haben, stehen in direktem Zusammenhang mit der Musik. Der Computer, in seiner Vielseitigkeit, speichert und kreiert Musik. Das Internet bietet uns eine Plattform, um sie weltweit zu verbreiten. All diese Innovationen haben eine unverkennbare musikalische Signatur.

Blockchain: Technologie auf der Suche nach ihrer musikalischen Relevanz

Doch hier betreten wir Neuland: Die Blockchain-Technologie. Im Gegensatz zu den bisherigen Technologien zeigt sie keine direkte Verbindung zur Musik auf. Während alle zuvor besprochenen Technologien als Mittel zur Erfahrung, Schöpfung oder Verbreitung von Musik dienten, scheint die Blockchain auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper in dieser Chronologie. Weshalb also erhält die Blockchain ihren Moment im Rampenlicht?

Welchen Stellenwert hat die Blockchain wirklich?

Zunächst sei gesagt: Blockchains erscheinen in vielen Kontexten als überflüssiges Anhängsel der digitalen Welt. Sie manifestieren sich als eine besondere Art und Weise, Daten zu verwalten. Kaum jemand dürfte beim Arbeiten mit Excel den Gedanken hegen, hier könne eine Blockchain das Werkzeug der Wahl sein.

Satoshi Nakamoto und die Bitcoin-Revolution

Dennoch gibt es eine bezeichnende Episode in der digitalen Geschichte, die den scheinbaren Mangel an Relevanz der Blockchain widerlegt. Die Hauptfigur dieser Erzählung: Ein mysteriöses Individuum namens Satoshi Nakamoto.

Mit dem Aufstieg des Internets veränderte sich die Art und Weise, wie wir Geld übertragen, grundlegend. Das digitale Zeitalter ermöglichte es uns, finanzielle Transaktionen mit wenigen Klicks abzuwickeln. Doch Satoshi erkannte Gefahren: Der Austausch digitaler Währungen war stets an Banken und Institutionen gekoppelt, die potenziell jeden Schritt überwachen und sogar Transaktionen zensieren konnten. Diese Abhängigkeit gab ihnen nicht nur die Macht, den Geldfluss zu kontrollieren, sondern auch das inflationäre Potential, das durch das schiere „Erzeugen“ von Geld durch Zentralbanken realisiert wurde. Eine problematische Dynamik, die sich in Ländern wie Venezuela, Argentinien, der Türkei und vielen afrikanischen Ländern drastisch zeigte. Ein abschreckendes Beispiel der Überwachung ist in China zu beobachten.

Bitcoin: Eine Antwort auf die digitale Überwachung und Inflation

Doch anstatt die Digitalisierung und das Internet als Bedrohung zu sehen, betrachtete Satoshi sie als Werkzeuge zur Stärkung individueller Rechte. Sein Ziel war es, ein unabhängiges, dezentrales Zahlungsmittel zu schaffen, das immun gegen jegliche Art von Manipulation ist – selbst wenn es autokratischen Regimen gegenübersteht. Die Umsetzung dieses Vorhabens war eine Symbiose verschiedener technologischer Ansätze und erforderte eine Reihe von Kompromissen. Einer dieser Kompromisse war die Implementierung der Blockchain – einer in vielen Augen redundanten und ineffizienten Datenbankstruktur. Aber in diesem besonderen Kontext erwies sie sich als unverzichtbares Element des Puzzles. Das Resultat? Bitcoin.

Das Mysterium hinter Bitcoin’s Schöpfer

Wer sich hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto verbirgt, bleibt bis heute eines der größten Rätsel der digitalen Ära. Wer tiefer in diese fesselnde Geschichte eintauchen möchte, dem sei die Dokumentation Mysterium Satoshi: Bitcoin – wie alles begann auf Arte wärmstens ans Herz gelegt.

Die Parallele zur Musikbranche: Eine Geschichte von Goldgräbern und Spekulationen

Wie verknüpft sich all dies mit der Musikbranche? Die Antwort ist ebenso klar wie ernüchternd: Gar nicht. Bitcoins beispielloser Aufstieg beschreibt ein eigenes, faszinierendes Kapitel in der digitalen Historie. Zwischenzeitlich belief sich das gesamte Vermögen der digitalen Münze auf die schwindelerregende Summe von über einer Billion Euro. Ein Betrag, der Goldgräberstimmung auslöste und zahlreiche Nachahmer auf den Plan rief. Ein Kontext, in dem unzählige weitere Netzwerke das Licht der digitalen Welt erblickten, um im Wettbewerb mit Bitcoin zu bestehen. Doch angesichts ihrer Immunität gegenüber globalen Gesetzeswerken, entstand ein nahezu gesetzloses Terrain, der „Wilde Westen“ der Kryptowährungen. Und doch, bislang konnte keine dieser neuen Kryptowährungen einen überzeugenden Mehrwert offerieren. Entweder leiden sie unter konzeptionellen Schwächen oder sie fungieren als bloße Instrumente für das schnelle, oftmals fragwürdige Geldmachen einiger weniger.

Kryptowährungen: Der „Wilde Westen“ der digitalen Wirtschaft

Doch wie werden diese digitalen „Währungen“ der Öffentlichkeit schmackhaft gemacht? Marketing spielt hier, wie so oft, die tragende Rolle. Im Dickicht aus leerer Rhetorik, sogenannten „Rug-Pulls“ und einer wachsenden Spekulationsblase lassen sich jedoch kaum nennenswerte produktive Ergebnisse identifizieren.

Exkurs: Ein „Rug Pull“ ist in der Sphäre der Kryptowährungen eine besonders perfide Masche. Insbesondere im Bereich der Dezentralisierten Finanzen (DeFi) verleiten Entwickler oder Promotoren potenzielle Investoren mit glänzenden Versprechen, nur um, sobald genügend Kapital akkumuliert wurde, das finanzielle Fundament abrupt zu entziehen. Eine Metapher, die das jähe „Wegziehen des Teppichs“ – dem einhergehenden Verlieren des Bodens unter den Füßen – beschreibt und Investoren ratlos mit nahezu wertlosen digitalen Token zurücklässt.

Das Dilemma der NFTs in der Musikindustrie

Was sind NFTs und das „Orakel-Problem“

In der digitalen Landschaft wird immer wieder der Begriff „Usecase“, also der konkrete Anwendungsfall, ins Feld geführt. In diesem Kontext tauchen häufig „Non-Fungible Tokens“, kurz NFTs, auf. Doch was sind NFTs wirklich? Sie sind lediglich digitale Eintragungen auf einer Blockchain. Und welchen Bezug haben diese zu unserer greifbaren Realität? Richtig: keinen. Dieses Dilemma wird als das sogenannte „Orakel-Problem“ bezeichnet. Während Bitcoin von dieser Problematik verschont bleibt, da hier der Blockchain-Eintrag gleichzeitig die Repräsentation des Bitcoins oder seiner Untereinheit, dem Satoshi (ein Analogon zu unserem Euro und Cent), ist, haben NFTs hier eine fundamentale Diskrepanz. Der Eintrag auf der Blockchain repräsentiert das Asset.

Die vermeintliche Exklusivität von NFTs in der Musik

NFTs suggerieren oft eine Exklusivität oder Seltenheit von Medieninhalten wie Bildern oder Musik. Doch hier liegt eine trügerische Annahme zugrunde. Eine digitale Musikaufnahme kann trotz ihres vermeintlich „einzigartigen“ NFT-Status weiterhin repliziert werden. Wer also einen NFT erwirbt, besitzt im Grunde lediglich eine Abfolge digitaler Codes auf einer Blockchain, die keinen direkten Bezug zum eigentlichen Medium aufweist.

Utopie vs. Realität: Die Blockchain-Perspektive für Musikschaffende

Das Versprechen, das NFTs und die Blockchain für die Musikindustrie in Aussicht stellen, klingt beinahe utopisch: Mehr Souveränität über das eigene geistige Erbe, eine transparente Einnahmeverteilung und ein intensiviertes Verhältnis zwischen Künstler und Fan. In dieser Vision könnten NFTs Musikschaffenden die Option eröffnen, Einmalzahlungen für ihre digitalen Kunstwerke zu erhalten – direkt, ohne den Umweg über Dritte. Theoretisch könnte diese unmittelbare Verbindung zu einer gerechteren Entlohnung der Künstler beitragen und das oftmals verzerrte Machtgleichgewicht in der Musikbranche herausfordern.

Doch hinter diesem glänzenden Vorhang verbirgt sich eine weniger rosige Realität: Die Agenda, die Kulturschaffenden an die Blockchain und ihre Token zu binden. Große Namen wie Grimes, Kings of Leon und Steve Aoki sind in den NFT-Zug eingestiegen, und während diese Künstler sicherlich von den lukrativen Deals profitieren, bleibt die Frage, ob der durchschnittliche Musiker oder Fan in gleichem Maße davon profitieren kann. Ein Aspekt, der gerne unter den Teppich gekehrt wird: Die Partizipation an der Blockchain erfordert den Erwerb oft kostspieliger Tokens, und jeder Schritt in diesem System zieht Gebühren nach sich.

Der Einfluss von Medientechnologien auf das musikalische Ökosystem

Und genau hier schließt sich der Kreis zur Musik: In ihrem unablässigen Streben, Relevanz und Anwendungsfelder für ihre Blockchains zu finden, durchforsten Betreiber und Foundations sämtliche Bereiche. Sie machen auch vor der Musik nicht Halt, versuchend, diese digitale Technologie mit der Kunstform zu verknüpfen.

Die Musikbranche, in ihrer einzigartigen Verletzlichkeit und ökonomischen Prekarität, erweist sich als besonders empfänglich für glänzende Versprechungen technologischer Neuerungen. Angesichts der Tatsache, dass für viele Künstler der finanzielle Ertrag ihrer musikalischen Arbeit häufig marginal bleibt, sind sie leicht verführbar von den durchdachten Marketingstrategien, die den Horizont rosiger erscheinen lassen. Unsere Einleitung in diesem Artikel hat bereits illustriert, wie Medientechnologien im Laufe der Geschichte das musikalische Ökosystem prägen und transformieren. Ein wiederkehrendes Muster: Diese Technologien gewinnen an Bedeutung für die Musikwelt, sobald sie direkt mit ihr interagieren. Bei der Blockchain-Technologie ist dies, trotz aller Bemühungen, nicht der Fall und es scheint, als ob sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird.

Fazit

Der Terminus „Blockchain“ hat sich allmählich von einem technologischen Konzept zu einem überstrapazierten Marketing-Jargon entwickelt – einer Nebelgranate, die mehr verschleiert als offenbart. In künftigen Artikeln werde ich weiterhin Themen rund um die Musikbranche und die damit verbundenen technologischen und marketingtechnischen Herausforderungen beleuchten. Mein Anliegen bleibt dabei stets die Aufklärung und Orientierung. Meinen Kollegen in der Musikbranche möchte ich ans Herz legen, sich ihrer wahren Leidenschaft – der Musik – zu widmen und sich nicht von flüchtigen, verlockenden Versprechungen ablenken zu lassen.

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